Open Content: kostenfreie Inhalte mit großem Potential

InnovationsRadar
9 min readDec 6, 2021

Autor: Dr. Michael Schuricht

Photo by Andrew Moca on Unsplash

Die Betriebssysteme vieler Smartphones, Bilder und Texte auf Webseiten, wissenschaftliche Publikationen oder Software auf betrieblichen und privaten Rechnern. In jedem Bereich unseres modernen Lebens treffen wir auf „freie Inhalte“ oder „Open Content“. Doch was ist „Open Content“ eigentlich?

Die Grundidee

In der IT-Branche begründete sich in den 1970er Jahren eine soziale Bewegung des „Open Source“. Diese setzte sich für die offene Verbreitung von Software-Quelltexten ein. Dabei ging es darum, Quelltexte von Programmen mit Lizenzverträgen zu versehen, die eine Nutzungseinschränkung ausschlossen. Das heißt, jeder der möchte, darf einen Quelltext beliebig vervielfältigen, kopieren, weiterentwickeln und verändern, kurzum für den eigenen Gebrauch, ob privat oder kommerziell, frei und ohne Einschränkung nutzen und darüber hinaus weiterverbreiten.

Folgende Lizenzmodelle sind in diesem Kontext häufig zu finden:

CC-Lizenzen Schaubild, CC-BY-ND 4.0 Christian Mayr

In Folge der Krise wissenschaftlicher Zeitschriften in den 1990er Jahren, die insbesondere naturwissenschaftliche Fachgebiete betraf und verteuerte, etablierte sich eine weitere Bewegung, die internationale „Open Access“-Bewegung. Diese setzte sich dafür ein, dass wissenschaftliche Publikationen kostenfrei zur Verfügung gestellt werden konnten und Studierende, Lehrende und Forschende freien Zugang zu Wissen erhielten und eine umfangreiche Weiterentwicklung der Forschungen gewährleistet werden konnte.

In den folgenden Jahren kamen weitere Bewegungen und Projekte dazu, die sich unter anderem für freie Lern- und Lehrmaterialien („Open Educational Resources“), offene Datenbanken („Open Data“) und transparente Politik („Open Government“) einsetzten und einsetzen. Die erwähnten Bereiche und noch weitere werden unter dem Begriff „Open Content“ zusammengefasst.

In einer fortschreitenden Digitalisierung nimmt die Bedeutung freier Inhalte sukzessiv zu.

Open Source Monitor 2019, Bitkom

Laut einer Studie aus dem Jahr 2019 der Bitkom, einem IT-Branchenverband, beteiligen sich heute schon 31 % der Unternehmen in Deutschland an der Entwicklung und Weiterentwicklung von Open-Source-Software. Die vielleicht überraschende Vorreiterrolle in allen Bereichen, wie Verwendung, Integration und Entwicklung, fällt der Automobilbranche zu. Aber auch der Bankensektor setzt vermehrt auf die Integration von Open-Source.

Darüber hinaus profitiert die Warenproduktion. Denkt man nur einmal an Baupläne für 3D-Drucker, die von jedem benutzt und weiterentwickelt werden können, eröffnen sich weitreichende Potenziale.

Anbieter, Entwickler und Motivation

Mit dem Wachstum und der Aufmerksamkeit für die Open-Content- und Open-Source-Bewegung wurden die Gründe und Motivationen der Anbieter und Entwickler untersucht. In einem Papier des 15. Jahreskongresses der European Economic Association wurden Anreize sowohl auf individueller Ebene als auch auf Unternehmens- oder Netzwerkebene mit folgendem Ergebnis analysiert:

Altruismus: Das Argument des Altruismus eignet sich nur bedingt als Erklärung, da Contententwickler ihre Wohltätigkeit nicht auf wohltätige Zwecke ausrichten, auch wenn es sie gibt.

Gemeinschaftlicher Austausch und Verbesserung: Die Online-Community ist eine Umgebung, die kontinuierliche Verbesserungen, Änderungen und Beiträge zu den Arbeiten der anderen fördert. Ein Programmierer kann beispielsweise leicht von quelloffener Software profitieren, denn durch die Veröffentlichung können andere Tester und Unterprogramme Fehler beseitigen, den Code für andere Zwecke anpassen und Probleme finden.

Anerkennung: Auch wenn ein Projekt nicht unbedingt mit einer bestimmten Person in Verbindung gebracht wird, werden die Mitwirkenden oft im Rahmen der Projektveröffentlichung und -dokumentation genannt. Auf diese Weise können Anbieter und Entwickler öffentliche Anerkennung für ihre Fähigkeiten erhalten, was Karrieremöglichkeiten und Bekanntheit fördert.

Ego: Ego-Befriedigung wurde vor allem in der Softwareszene als eine relevante Motivation von Programmierern wegen ihrer wettbewerbsorientierten Gemeinschaft genannt.

Kreativer Ausdruck: Persönliche Befriedigung entsteht auch durch das Entwickeln von Open-Content-Angeboten als Äquivalent zum kreativen Selbstausdruck — es ist fast gleichbedeutend mit der Schaffung eines Kunstwerks. Die Wiederentdeckung der Kreativität, die durch die Massenproduktion von kommerziellen Kreativ- und Softwareprodukten verloren gegangen ist, kann eine wichtige Motivation sein.

Ausgewählte Arten von Open Content Angeboten

So vielfältig wie die Gründe freie Inhalte zu entwickeln, sind auch die Inhalte selbst. Im Kontext dieses Artikels und der Ausrichtung des Blogs erscheinen folgende Inhalte besonders relevant:

Tux das Linux- Maskottchen von Larry Ewing, Simon Budig, Garrett LeSage

Open Source (Software) ist sicher das bekannteste Open Content Format. Bei dieser Art der Software ist der Quellcode frei und offen zugänglich. Auf diese Weise können die Nutzer das Programm bearbeiten und an die persönlichen Bedürfnisse anpassen. Hierfür sind in aller Regel jedoch Programmierkenntnisse nötig. Die geänderte Programm-Datei dürfen die Nutzer auch weiterverbreiten. So sind die Open-Source-Anwendungen meistens kostenlos. Jedoch handelt es sich hierbei nicht um einen gesicherten Begriff und es gibt keinerlei Garantie, dass die Nutzer solche Programme stets gratis erhalten. Daher verlangen einige Programmierer eine Gebühr für die Herausgabe des Programmcodes.

Beispiel “Red Hat Linux”: www.redhat.com/de

By Kimsaka — Own work, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=38806462

Open Source Hardware setzt den Grundgedanken aus der Softwareentwicklung nahtlos fort. Durch das öffentlich zugänglich machen der Hardware-Baupläne, können diese verändert und weiterverbreitet werden und die darauf basierende Hardware hergestellt und verkauft werden. Die frei nutzbaren Inhalte zusammen mit fertig erhältlichen Komponenten und Standardprozessen soll die Verwendung und das Bauen der Hardware für jedermann möglich machen. Hardware bezeichnet dabei Maschinen, Geräte oder andere physische Gegenstände oder gar Getränke. So gibt es zum Beispiel Initiativen für ein Open-Source-Auto oder ein günstiges Selbstbau-Solarsystem, welches von Entwicklungsländern anstatt Brennholz verwendet werden kann. Durch die Verbreitung von 3D Druckern gibt es mittlerweile auch frei zugängliche CAD Dateien für druckbare Objekte.

Beispiel Open Source Cola/Cube Cola: https://cube-cola.org/

Von Marble developers, OpenStreetMap contributors — w:de:Datei:Marble_Screenshot_OpenStreetMap.png, taken by w:de:Benutzer:Redd, CC BY-SA 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=7916738

Der Begriff Open Data fasst alle jene Daten zusammen, die von jedem genutzt und weiterverarbeitet werden können. Oftmals handelt es sich hierbei um Geodaten, Verkehrsinformationen, aber auch Statistiken und wissenschaftlichen Publikationen, die mal von staatlichen Stellen, aber auch von privatwirtschaftlich agierenden Unternehmen erhoben werden können. Das erklärte Ziel hinter der freien Verfügbarkeit und des Austauschs dieser freien Daten besteht in einer schnelleren Zusammenarbeit und der Schaffung von Transparenz. Seit dem Open-Data-Gesetz aus dem Jahre 2017 können nun auch verstärkt Daten von Bundesbehörden mit wachsender Tendenz öffentlich zugänglich gemacht werden. Datenschützer kritisieren hierbei vor allem das kommerzielle Interesse, das von der Konrad-Adenauer-Stiftung bereits 2016 mit jährlich 43,1 Milliarden Euro beziffert wurde. Befürworter dieses Trends führen dahingegen an, dass es sich bei den Daten um ein Allgemeingut handle, welches keinen Restriktionen unterliegen sollte.

Beispiel Open Street Map: https://www.openstreetmap.de/

Screenshot OpenDigiMedia / https://ilias.uni-hannover.de/goto.php?target=cat_45807

Unter dem Begriff der Open Educational Resources versteht man im Allgemeinen jegliche Art von Lehr- und Lernmaterialien, sowie Software, die frei von Lizenzgebühren, sowohl für Lehrer, als auch Studenten, online zur Verfügung stehen. Diese Inhalte kann man dann für nicht kommerzielle Zwecke nutzen, so wie auch bearbeiten, ergänzen und auch selber erstellen. Der Gedanke dahinter ist Bildung jedem überall zugänglich zu machen, vor allem Menschen in ärmeren Ländern mit schlechterem Bildungssystem und somit das Defizit in der Ungleichheit von Bildungsmöglichkeiten auszugleichen. Der Hauptunterschied zwischen Open Educational Resources zu anderen Lehrinhalten im Internet besteht damit in der kostenlosen Verfügbarkeit und ihrer Lizensierung.

Beispiel Weiterbildungsportal OpenDigiMedia: https://opendigimedia.de

Geschäftsmodelle

Obwohl die Nutzung von Open Content per Definition kostenfrei ist, scheint es dennoch möglich ein Unternehmen auf dessen Basis wirtschaftlich zu etablieren. So konnten wir in den letzten Jahren vielfältige Erlös- und Geschäftsmodell identifizieren. Die fünf wichtigsten sind im Folgenden genannt:

Modell 1: Digital to Physical

Viele der Open-Content-Anbieter arbeiten an der Schnittstelle zwischen digitalen und physischen Gütern. Während sie digitale Güter mit einer Creative-Commons-Lizenz offen lizenziert und kostenlos online zur Verfügung stellen, bieten sie deren physisches Pendant gegen Entgelt an.

Das Unternehmen OpenDesk hat sich genau auf dieser Schnittstellt positioniert. Im Kern hat es eine Sammlung digitaler Entwürfe für Möbel von einer Reihe internationaler Designer zusammengestellt. Die Entwürfe stehen unter einer Creative-Commons-Lizenz und können von den Nutzern heruntergeladen und an ihre spezifischen Bedürfnisse angepasst werden. Die Nutzer können aus den Entwürfen Möbel für den nichtkommerziellen Gebrauch im Do-it-yourself-Verfahren selbst herstellen. Die Umsetzung eines digitalen Entwurfs in physische Holzstücke erfordert jedoch in der Regel spezielle computergesteuerte Fräswerkzeuge. Dies übernimmt dann OpenDesk.Das Unternehmen hat Partnerschaften mit Herstellern auf der ganzen Welt geschlossen, die über solche Werkzeuge verfügen. Ein besonderer Teil des Geschäftsmodells von OpenDesk besteht darin, eine lokale Fertigung in der Nähe Ihres Wohnorts zu ermöglichen.

Weitere Informationen unter: https://www.opendesk.cc/

Modell 2: Direct Connect

Kreative, wie Musiker, Schriftsteller oder Künstler nutzen das “Direct Connect” Modell, um über das Internet direkt mit Fans, Lesern und ihrem Publikum direkt in Kontakt zu treten. Sie lizenzieren ihr Werk offen mit Creative-Commons-Lizenzen, stellen es online und laden jeden ein, es zu hören, zu lesen, zu nutzen und zu verbreiten. Erlöse werden dabei auf “Pay-what-you-can”-Basis bzw. Spenden erzielt, Kosten werden somit auf eine große Anzahl kleiner Beiträge verteilt.

Wikipedia ist eine der zehn beliebtesten Websites der Welt, die jeden Monat mehr als 15 Milliarden Mal aufgerufen wird. Der Inhalt von Wikipedia ist lizenziert unter Creative Commons Attribution Share Alike CC BY-SA. Wikipedia führt jährlich eine Spendenkampagne durch. Eine kleine Spende von einem Prozentsatz der Nutzer kann den Bedarf an Einnahmen tatsächlich decken. Im Jahr 2014 spendeten über 2,5 Millionen Nutzer durchschnittlich 15 Dollar.

Weitere Informationen unter: https://de.wikipedia.org/

Modell 3: Matchmaking

Technologieplattformen spielen eine wichtige Rolle in der digitalen Ökonomie, da sie die Schöpfer von Open Content mit denjenigen zusammenbringen, die diese Güter, auch für kommerzielle Zwecke, benötigen. Sie sind webbasierte Vermittler, die meist gegen ein Endgelt Angebot (Open Content) und Nachfrage zusammenbringen.

Tribe of Noise ist eine schnell wachsende Online-Community, die über 20.000 Künstler aus 170 Ländern vertritt und Musik (Lizenzen) an die Film-, Fernseh-, Videoproduktions-, Spiele- und Ladenmedienindustrie liefert. Tribe of Noise bietet Musikern zwei Möglichkeiten. Um Aufmerksamkeit und Interesse für Ihre Musik zu wecken, können Sie Musik in Ihr Profil in der Community hochladen (unter einer CC 4.0 BY-ShareAlike-Lizenz), die es anderen erlaubt, Ihren Song kostenlos zu teilen und zu remixen — sogar für kommerzielle Projekte — solange sie das Werk nennen und ihr Projekt unter derselben Lizenz lizenzieren.

Die zweite Möglichkeit besteht darin, Musik auf die Tribe of Noise PRO-Lizenzierungsplattform hochzuladen (mit einem nicht-exklusiven Nutzungsvertrag). Tribe of Noise kuratiert, welche Musik auf der PRO-Plattform veröffentlicht wird, und hilft diesen Musikern auch, Musikverträge abzuschließen. Die durch diese Verträge erzielten Einnahmen werden zwischen Tribe of Noise und dem Künstler aufgeteilt.

Weitere Informationen unter: https://www.tribeofnoise.com/

Modell 4: Value-Add Services

Bei dieser Methode werden Dienste auf einen freien und offenen Ressource aufgebaut. Die Einnahmen werden durch den Verkauf von Premium-Diensten und nicht durch den Verkauf der Ressource selbst erzielt.

Das Open Data Institute (ODI) arbeitet mit Unternehmen und Regierungen zusammen, um ein offenes, vertrauenswürdiges Datenökosystem aufzubauen, durch das Menschen bessere Entscheidungen auf der Grundlage von Daten treffen, innovative Ideen entwickeln und Krisen besser bewältigen können. Das ODI bietet dazu eine Vielzahl kostenfreier Materialien, Tools und Werkzeuge unter CC-Lizenz an. Zur Finanzierung bietet es kostenpflichtige Kurse und Schulungen über Vorteile, Möglichkeiten und Praktiken im Zusammenhang mit offenen Daten an.

Weitere Informationen unter: https://theodi.org/

Modell 5: Members

Überraschenderweise finden sich im Umfeld von Open Content kaum werbefinanzierte Geschäftsmodelle. Es scheint eine allgemeine Abneigung gegen Werbung zu geben und das Gefühl, dass sie mit der Mission kollidiert und die Wahrnehmung des Unternehmens negativ beeinflusst.
Anstelle von Werbung verlassen sich einige viele Unternehmen auf Mitglieder, Sponsoren oder Partner, um die Erstellung und Verfügbarkeit von offen lizenzierten Creative-Commons-Inhalten direkt zu finanzieren.

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Beiträge von Dr. Michael W. Preikschas & Dr. Michael Schuricht zu Trends und innovativen Geschäftsideen