Neue Wege im Innovationsmanagement: Von der linearen zur agilen Innovation

InnovationsRadar
5 min readJul 30, 2021

Dr. Michael Schuricht

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Viele Jahre lang wurde Innovation als ein linearer Prozess gesehen und gelebt. Ausgehend von einer Idee oder einem konkreten Kundenproblem durchliefen Innovationen eine festgelegte Abfolge von Prozessschritten, wie z. B. Risikobewertung und Geschäftsmodell- oder Produktentwicklung. Diese Prozessschritte wurden oft als unumkehrbar angesehen. In den frühen Phasen des Prozesses gab es keinen direkten Kontakt zum Markt, Kundenfeedback floss erst gegen Ende ein.

Diese Linearität bringt jedoch viele Probleme mit. So sind die ersten Entscheidungen beispielsweise wegweisen für den gesamten Innovationsprozess. Wenn gute Ideen zu früh eliminiert werden, können sie verloren gehen. Außerdem bleibt kaum Raum für risikoreiche und besonders innovative Ansätze. Um kostenintensive Fehlschläge zu vermeiden, werden diese frühzeitig herausgefiltert. Für die verbleibenden Ideen beginnt ein langer Weg bis hin zum marktfähigen Produkt. Die damit verbundenen drei bis fünf Jahre sind in der Praxis sehr kostenintensiv für das innovierende Unternehmen. Da erst am Ende des Prozesses durch den direkten Kundenkontakt festgestellt werden kann, ob eine Idee wirklich funktioniert, ist das Risiko einer linearen Innovation extrem hoch.

Es ist daher nicht verwunderlich, dass sich die Sichtweise auf den Innovationsmanagementprozess in den letzten Jahren massiv verändert hat. Lineare Prozessmodelle wurden angepasst und flexibler gestaltet. Aktuelle Modelle kombinieren den linearen Innovationsmanagementansatz mit agilen Konzepten. Ziel dieser Ansätze ist es, Innovationen mit möglichst wenig Risiko und Investitionen zu schaffen. Dies wird erreicht, indem die langfristige Planung durch einen Learning-by-doing-Ansatz, bei dem das Testen von Hypothesen und das Kundenfeedback im Mittelpunkt jeder Entscheidung stehen, ersetzt wird.

Der agile Ansatz

Die Ursprünge der agilen Managementmethoden liegen in der Softwareindustrie. Diese bereits stark von Agilität geprägte Branche dient als Vorbild für das moderne agile Innovationsmanagement. Kern der modernen Softwareentwicklung ist das “Agile Manifest”. Es konzentriert sich auf vier zentrale Werte: Zusammenarbeit im Team, praktische Problemlösung, direkter Kundenkontakt und Bereitschaft zur Veränderung.

Diese vier Schlüsselwerte lassen sich auch auf Innovationsprozesse anwenden. Kaum ein anderer Bereich der Wirtschaft ist so sehr von Unvorhersehbarkeit geprägt und bietet gleichzeitig ein nahezu unbegrenztes Potenzial für künftige Umsätze und Gewinne. Im Innovationsmanagement gibt es viel zu gewinnen, aber auch viel zu verlieren. Aus diesem Grund wird ein agiler Ansatz oft als die beste Wahl angesehen. Um Produkte für morgen zu entwickeln, müssen die Bedürfnisse von morgen klar sein. Im direkten Kontakt mit den Kunden können Beta-Versionen frühzeitig getestet und entsprechend dem Feedback angepasst werden. Auf diese Weise können Fehlinvestitionen vermieden und bessere Ergebnis erzielt werden

Build-Measure-Learn-Feedback-Schleife

Die in der beistehenden Abbildung dargestellte Build-Measure-Learn-Feedback-Schleife bildet einen Grundbaustein im Methodenkasten des agilen Innovationsmanagements. Der Ansatz, der vor allem auf Eric Ries zurückgeht, beschreibt einen kontinuierlichen, zirkulären, in sich geschlossenen Prozess, der während der Entwicklungsphase mehrfach wiederholt wird. Das Ziel des Build-Measure-Learn-Ansatzes ist es nicht, ein fertiges, marktfähiges Produkt zu entwickeln, sondern durch schrittweise und iterative Entwicklung zu lernen.

Vergleichbar mit einem Experiment in den Naturwissenschaften beginnt der Zyklus in der Regel mit der Entwicklung einer Hypothese. Auf deren Grundlage werden im ersten Schritt (Build) Ideen, Konzepte, Mock-ups, Prototypen oder sogenannte “Minimum Viable Products” erstellt, um die Hypothesen am Kunden testen und den Lernprozess einleiten zu können. Im zweiten Schritt (Measure) wird der direkte Kundenkontakt hergestellt, Hypothesentests durchgeführt und das Kundenfeedback gesammelt sowie dokumentiert. Im letzten Schritt (Learn) wird das Kundenfeedback ausgewertet. Die zuvor entwickelten Hypothesen werden falsifiziert. Fallen die Ergebnisse negativ aus, werden die Ideen, Konzepte und Produkte verworfen oder wenn möglich angepasst. Sind die Ergebnisse positiv, gehen sie in die nächste Phase des Entwicklungsprozesses über, wo ein neuer Satz von Hypothesen die nächste Build-Measure-Learn-Feedbackschleife einleitet.

Die 4 Phasen des Innovationsprozesses

Kombiniert man diese agile Methode mit den typischen Phasen des Innovationsmanagements (nach Robert G. Cooper), entsteht ein mehrstufiger Validierungsprozess. Wie in beistehender Abbildung dargestellt, ist jede Phase eine unabhängige Build-Measure-Learn-Feedbackschleife, die einmal oder mehrmals durchlaufen wird. Jede Phase hat Ziel (auch Tor oder Gate genannt). Dieser dient als Orientierungspunkt im Innovationsprozess, beinhaltet die grundlegende Hypothese der Phase und baut auf die zuvor durchgeführten Schritte auf. Nur durch Erreichen des Ziels ist ein Übergang in die nächste Phase möglich.

mehrstufiger Validierungsprozess

Typischerweise beginnt der mehrstufige Validierungsprozess mit einer Explorationsphase. Hier werden die Kundenbedürfnisse und -anforderungen ermittelt und Problemhypothesen gebildet. Um sicherzustellen, dass die Innovation tatsächlich einen Wert schafft, wird geprüft, ob das abgeleitete Problem bei der Zielgruppe tatsächlich existiert. Danach beginnt die Suche nach Lösungsideen (Ideenphase). In einem kreativen Prozess wird eine Vielzahl von Alternativen entwickelt. Schritt für Schritt werden aus dem entstandenen Pool Ideen ausgewählt, prototypisch umgesetzt und angepasst, bis sichergestellt ist, dass das Problem tatsächlich gelöst werden kann. Im dritten Schritt steht die Rentabilität im Vordergrund (Geschäftsmodellentwicklung). In einem ebenso kreativen Prozess werden verschiedene alternative Erlösmechanismen und Wertschöpfungsstrukturen definiert. Durch Markttests werden Daten und Berechnungsmodelle generiert, und Simulationen bilden die Grundlage für die Auswahl der besten Geschäftsmodellkonfiguration. Konsistente, datengestützte Entscheidungen sorgen für Objektivität. Im letzten Schritt findet die eigentliche Produktentwicklung statt. Funktionen und Merkmale werden definiert und technisch umgesetzt. Um sicherzustellen, dass der Innovationsprozess zeitlich und kostenmäßig nicht aus dem Ruder läuft, findet ein ständiger Abgleich mit den Markterwartungen statt. Die damit verbundenen Markttests stellen zudem sicher, dass nur Funktionen entwickelt werden, die die Kunden wirklich interessieren.

Innovatoren erreichen mehr Umsatz und Gewinn, neue Kunden und Märkte. Trends früh erkennen, daraus Bedürfnisse richtig und rechtzeitig ableiten, neue Lösungen zum Erfolg entwickeln — das ist ihr Geschäft. Sie arbeiten intern im Netzwerk und extern mit Partnern. Marketing und Vertrieb sind früh eingebunden. Innovationen beginnen mit Ideen und gelingen durch strukturiertes Management.

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Beiträge von Dr. Michael W. Preikschas & Dr. Michael Schuricht zu Trends und innovativen Geschäftsideen