Cellular Agriculture: Das bezahlbare und umweltbewußte Steak
TEXT: Dr. Michael W. Preikschas
Wir brauchen erschwingliche Lebensmittel! Nach Angaben der Vereinten Nationen hat die Pandemie den Hunger in der Welt auf 811 Millionen unterernährte Menschen ansteigen lassen. Insgesamt hatten im Jahr 2020 2,3 Milliarden Menschen keinen angemessenen Zugang zu Nahrungsmitteln und galten als mäßig oder stark ernährungsunsicher. Ein Weg dorthin sind zellgezüchtete Lebensmittel.
2013 wurde auf einer Pressekonferenz in London der weltweit erste im Labor gezüchtete Burger serviert, dessen Herstellung 330.000 Dollar kostete. Finanziert wurde er vom Google-Mitbegründer Sergey Brin. Erfinder des Burgers war Professor Mark Post von der Universität Maastricht. Im Labor gezüchtetes Fleisch — auch zellgezüchtetes oder kultiviertes Fleisch genannt — wird hergestellt, indem man einem lebenden Tier Zellen entnimmt, ohne es zu töten. Normalerweise erhalten diese Starterzellen ein Wachstumsmedium und wachsen in einem Bioreaktor, so dass sie in einer Laborumgebung Fett und Muskeln entwickeln.
Der hohe Preis reichte aus, um selbst die neugierigsten Feinschmecker davon abzuhalten, im Labor gezüchtetes Fleisch in ihren Speiseplan aufzunehmen. Der heutige Markt für zellgezüchtetes Fleisch hat sich allerdings stark verändert. Post, der drei Jahre nach der Vorstellung des 330k-Burgers seine Firma Mosa Meat gegründet hat, arbeitet weiter an Fleisch aus dem Labor. Ihm folgten viele Unternehmen. Aktuell zählt man mehr als 70 Betriebe in aller Welt, die versuchen Fleisch im Labor zu züchten.
Der Preis für zellkultiviertes Fleisch ist mittlerweile von 330.000 US-Dollar auf etwa 9 € oder 9,80 $ pro Burger gesunken. Die Preise sinken, weil sich der Umfang der Produktion verbessert hat und die Materialien weniger kosten. Zusätzlich zu den sinkenden Preisen und der wachsenden Zahl von Unternehmen im Bereich des kultivierten Fleisches werden auch immer mehr Fleischsorten im Labor entwickelt. Dazu gehören Huhn, Schwein, Ente, Lamm, Känguru und Pferd.
Die Produktionskosten sinken zwar rapide, aber es gibt noch Raum für Verbesserungen. Unternehmen und Forscher auf der ganzen Welt arbeiten daran, im Labor gezüchtetes Fleisch erschwinglicher und zugänglicher zu machen, stoßen dabei aber auf Probleme bei der Skalierung. Um genügend zellgezüchtetes Fleisch für die Regale in den Supermärkten zu erzeugen, sind preiswerte Starterzellen, Wachstumsmedien und sehr große Bioreaktoren erforderlich. Derzeit sind Wachstumsmedium und Bioreaktoren teuer und nicht in den Mengen verfügbar, die für die Ernährung der Welt notwendig sind.
Das Wiener Start-up Revo Foods hat im Mai 2022 ein veganes Lachsfilet aus dem 3D-Drucker auf den Markt gebracht, welches eine ähnliche Konsistenz wie natürlicher Fisch haben soll. Es wird zwar nicht aus Zellbausteinen im Labor erzeugt, zeigt aber wie erfolgreich ein “künstlich nachgebautes” Lebensmittel am Markt sein kann. Der künstliche Räucherlachs besteht aus zehn verschiedenen Zutaten, darunter Erbsenprotein, Algenextrakt und verschiedenen Pflanzenölen aus Flachsamen und Raps. Er soll bei der Herstellung 75 Prozent an CO2 gegenüber Zuchtlachs sparen. Außerdem enthält der künstliche Lachs keine Schwermetalle — bietet allerdings dieselben Nährstoffe und Vitamine wie der echte Fisch. Die Akzeptanz der Verbraucher in Wiener Restaurants ist bereits gegeben. Außerdem ist das Produkt im Supermarkt zu ähnlichen Preisen wie das tierische Pendant zu haben.
Im September 2021 gab das Technische Forschungszentrum VTT in Finnland bekannt, dass es ein Gebräu hergestellt hat, das wie normaler Kaffee riecht und schmeckt — und zwar ohne eine einzige Kaffeepflanze anzubauen. Der Kaffee wurde im Labor aus Zellkulturen in einem Bioreaktor gezüchtet, dessen Stahlgefäße mit einer nährstoffreichen Brühe gefüllt sind. Der Anstoß für eine alternative Methode der Kaffeezubereitung ist ähnlich wie bei Fleisch und Meeresfrüchten: eine wachsende weltweite Nachfrage, welche die produktiven Ressourcen der Erde überschreiten.
Das ist es aber nicht allein. Denn der Weltkaffeemarkt ist laut Mordor Intelligence im Jahr 2020 über 102 Milliarden Dollar wert. Dieser Markt — von ganzen Bohnen, gemahlenem Kaffee und Instantkaffee bis zu Pads und Kapseln — ist seit jeher von hartem Wettbewerb und Innovation geprägt. Die weltweit steigende Kaffeeproduktion und der zunehmende Kaffeekonsum haben Besorgnis ausgelöst. Die Abholzung der Wälder und die Verschmutzung der Flüsse durch Abwässer aus der Verarbeitung lassen Alarmglocken läuten. Wissenschaftler warnen, dass der Klimawandel in Zukunft auch zu schrumpfenden Anbauflächen führen könnte. Insbesondere für hochwertige Sorten in Ländern wie Äthiopien. Daher die Suche nach einer alternativen Tasse Kaffee.
Wissenschaftler wissen, dass sie tierische und pflanzliche Biomasse in Labors züchten können. Aber der Prozess ist in der Regel mühsam und teuer und ruft bei den Verbrauchern immer noch das Bild eines Frankenstein-des-Essens-Vorurteil hervor. Die ersten im Labor gezüchteten Hühner-Nuggets aus dem Silicon Valley, wurden Ende 2020 in Singapur zum Verkauf zugelassen und haben sich seitdem nirgendwo sonst wirklich durchgesetzt. Bei Kaffee könnte dies anders sein. Die große Frage ist, ob der im Labor gezüchtete Kaffee einen vom Verbraucher akzeptierten hohen Preis erzielen kann. Fraglich, da es sich heute um ein reines Commodity handelt.
Innovatoren erreichen mehr Umsatz und Gewinn, neue Kunden und Märkte. Trends früh erkennen, daraus Bedürfnisse richtig und rechtzeitig ableiten, neue Lösungen zum Erfolg entwickeln — das ist ihr Geschäft. Sie arbeiten intern im Netzwerk und extern mit Partnern. Marketing und Vertrieb sind früh eingebunden. Innovationen beginnen mit Ideen und gelingen durch strukturiertes Management.
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